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Digitalisierungsgeschichten

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Eiszeit im Vertriebsmeeting

Dieses Schlebad stammt aus einem Unternehmen, das gerade ein größeres Digitalisierungsprojekt erfolgreich abgeschlossen hatte.

Dieses Unternehmen verkauft seine Produkte über Händler an Unternehmenskunden. Die (internationalen) Händler arbeiten dabei nicht exklusiv für dieses eine Unternehmen sondern haben durchaus andere Lieferanten für die von ihnen gehandelten Produkte. Diese Händler haben hier die Aufgabe, für ihre Kunden bestimmte Produkte “am Markt” schnell und natürlich auch günstig zu beschaffen.

Nach längerer Zeit hatte das hier im Fokus stehende Unternehmen mal wieder zu einem internationalen Vertriebsmeeting geladen. Die Stimmung im Vorfeld war gut: das “etwas lähmende” Großprojekt war inzwischen erfolgreich abgeschlossen, die Marktlage war gut und alle waren grundsätzlich zuversichtlich und voller Erwartungen.

Das Meeting selbst lief eigentlich auch sehr gut. Bis zum letzten Tagesordnungspunkt, bei dem die Händler sich einbringen sollten, wie man zukünftig besser zusammen arbeiten könnte. Der erste Wunsch eines Händlers, mehr in die digitalen Prozesse der neuen Software integriert zu werden, fand sehr viel Unterstützung bei den anderen Händlern.

Die Argumentation war, dass man doch durch die neue Technologie bisherige Prozesse wie Excellisten, Faxe, Abstimmung per Telefon o.ä. ersetzen könnte. Konkret ging es ihm um eine Art Händlerportal im Internet, wo er bei Bedarf auf aktuelle und historische Zahlen zugreifen, ggf. auch Aufträge platzieren kann und vor allem Einblick in die geplante Produktion bekommen könnte. Also nichts ungewöhnliches und vor allem das, was wir als Privatpersonen inzwischen von unseren Lieferanten erwarten.

Der letzte Punkt “Einblick in die Produktion” muss hier etwas erläutert werden. Nicht immer ist es den Unternehmen möglich, die Produktion 100%ig an den Aufträgen auszurichten. Hohe Rüstkosten und weitere Faktoren machen so etwas manchmal unrentabel. Beispiel: wenn ein Farbwechsel in der Produktion Aufwände und Zeitverluste für Reinigung, Austausch von Werkzeugen u.ä. erfordert, dann ist man bestrebt, beispielsweise erst viele blaue und dann erst die roten Produkte zu fertigen. Das können dann schon einmal Wochen werden, die man für rote Produkte warten muss.

Die Antwort vom Vertriebsverantwortlichen kam schnell und eindeutig: “Nein. So etwas wird es nicht geben. Die Händler sollen doch bitte mit dem zufrieden sein, was sie haben. Es besteht kein Grund, an den bisherigen Vorgehensweisen etwas zu ändern. Man lasse sich auch nicht gern in die Karten schauen.”

Einlenkende Versuche anderer Händler sowie weiterer Teilnehmer wurden ignoriert und “abgebügelt”.

Die Gesichter froren ein und das Meeting war gelaufen…

Besonders bitter dabei: Die IT hatte diese Anforderungen erwartet und die technische Machbarkeit im Vorfeld geprüft. Das neue technische System hätte die Anforderungen ohne größeren Aufwand erfüllen können.

Kommentar

Man dazu kann nur sagen “Nach dem Projekt ist vor dem Projekt”. Digitalisierungsprojekte sind nie abgeschlossen und man kann auch nach anfänglichen Erfolgen wieder alles einreißen. Oft sind es gerade diejenigen, die sich während des Projektes als Bedenkenträger oder sogar als Saboteure hervorgetan haben, die dann bewusst oder unbewusst ein erfolgreiches Projekt an die Wand fahren können.

Solche “Erlebnisse” sind extrem frustrierend für alle, die sich vorher für ein gemeinsames Ziel aufgerieben haben. Unmotivierte Mitarbeiter und Fluktuation kommen nicht von ungefähr.

Mal aus der Händlerbrille geschaut: Was werden die Händler jetzt machen? Was passiert, wenn sich andere Unternehmen partnerschaftlicher verhalten? Was passiert, wenn diese Art der “Zusammenarbeit” durch eine neue Internetplattform infrage gestellt wird, welche mehr auf die Wünsche der Kunden eingeht?

Es ist vor allem diese Arroganz der alten produktionsgetriebenen Industriegesellschaft und der Stolz auf die Leistungen der Vergangenheit, die immer mehr zu unserem Problem wird. Die Welt dreht sich immer schneller, wird komplexer, wird kundenorientierter. Wenn wir das ignorieren, war es das mit unserem Wohlstand.